Die Rekonstruktion der Kaiserpfalz gründet auf Bestandsplänen der über dem Boden erhaltenen Baureste, insbesondere auf dem Planmaterial der Grabungsdokumentation. Bereits der erste Gesamtplan der Grabungen von C. Rauch 1909-14, veröffentlicht in Neue Deutsche Ausgrabungen 1/1930, bildete die Grundlage einer Rekonstruktionszeichnung. Diese wiederum war der Ausgangspunkt für eine Modellrekonstruktion in der Werkstatt des Römisch-Germanischen Zentralmuseums 1930/31. Diese Rekonstruktion manifestierte für eine lange Zeit die Vorstellung von der Größe und vom Aussehen einer Pfalz karolingischer Zeitstellung.
Auch im Anschluss an die Ausgrabungen von W. Sage 1960-70 entstanden neue Rekonstruktionszeichnungen und ein Modell. Auf dem Gesamtplan des 1973 von U. Weimann veröffentlichten Grabungsberichts bauen die Überlegungen K. Weidemanns zur Rekonstruktion einer befestigten Pfalzanlage auf. Die Zeichnungen wurden 1974 erstmals veröffentlicht (in: Ausgrabungen in Deutschland, 1975), kurz darauf folgte das Rekonstruktionsmodell.
Im Todesjahr von C. Rauch legte der Ausgräber erstmals Fotos und Pläne der frühen Grabungen in größerer Auswahl vor. An der Veröffentlichung war H.J. Jacoby beteiligt, der protokollierte Gespräche zu den Sachverhalten der Altgrabungen mit dem Ausgräber führen konnte und eine weitere - stark idealisierte - Rekonstruktionsvariante publiziert hat (Monographien RGZM 2, 1976).
Die archäologische Untersuchung der Kaiserpfalz, deren Anfänge in das Jahr 1852 zurückreichen, mündete erstmals 1921 in ein Rekonstruktionsmodell, das einen Teilbereich der Anlage, das sog. Karlsbad (heute genannt Bassin der Fernwasserleitung) abbildete. Das Modell, das im selben Jahr auf der Dresdener Hygieneausstellung präsentiert worden ist, ist heute verschollen.
In den Jahren 1930/31 wurde in den Werkstätten des Römisch-Germanischen Zentralmuseums Mainz das erste Gesamtmodell nach den Vorgaben des 1909 - 1914 in Ingelheim tätigen Ausgräbers C. Rauch gebaut. Nicht zuletzt in Folge des Mangels an Vergleichsobjekten avancierte das Pfalzmodell von Ingelheim zum Inbegriff einer Pfalz karolingischer Zeitstellung überhaupt. Da die Grundlage für das Modell durch Grabungen gelegt war, die nach den methodischen Voraussetzungen keine zuverlässige Datierung der Bauteile ermöglichten, wurden Bauten hochmittelalterlichen Ursprungs irrtümlicherweise der Pfalz Karls des Großen zugerechnet.
Erst 1974 folgte die zweite Gesamtrekonstruktion, die jüngere Untersuchungsergebnisse der Jahre 1960 - 1970 in sich aufnahm. Die Differenzierung verschiedener Bauperioden – deutlich ablesbar an einer Baulücke anstelle der jetzt in das 10. Jahrhundert datierten Pfalzkapelle – erbrachte eine deutlich größere Annäherung an die schrittweise sich vollziehende bauliche Entwicklung. Jedoch ließen sich die Schöpfer des Modells von Ergebnissen der Burgenarchäologie leiten, als sie die Pfalz Karls des Großen als befestigte Anlage darstellten, ohne jedoch auf Grabungsbefunden aus dem Ingelheimer Boden aufbauen zu können.
In der Bildergalerie sind verschiedene Rekonstruktionsmodelle der Kaiserpfalz Ingelheim von 1930 bis heute zusammengestellt. Per Mausklick auf die Bilder erhalten Sie vergrößerte Ansichten der Modelle mit Erläuterungen.
Das Grabungsbüro der Kaiserpfalz Ingelheim konnte dank einer großzügigen Stiftung des Historischen Vereins Ingelheim e.V. zusammen mit der Restaurierungswerkstatt Thomas Flügen seit Ende 2004 an der Realisierung eines neuen Kaiserpfalzmodells arbeiten.
Das neue Pfalzmodell soll einen Gesamtüberblick über die Bautopographie der Pfalz Karls des Großen in Ingelheim vermitteln. Es gründet auf den vor Ort gewonnenen Ergebnissen aus archäologischer Forschung und auf bauhistorischer Vergleichung mit anderen Pfalz- und Profanbauten karolingischer Zeitstellung. Bezüglich der Gewichtung zwischen den Darstellungen von Befund und Rekonstruktion sollte nach dem Grundsatz verfahren werden, so viel wie nötig, so wenig wie möglich zu ergänzen. Darin liegt einer der wesentlichen Unterschiede zwischen dem neuen und den alten Modellen:
Das neue Pfalzmodell beinhaltet die Kennzeichnung von hypothetisch rekonstruierten Bauteilen gegenüber dem überlieferten Denkmalbestand. Dadurch wird es möglich, Rekonstruktion differenziert zu betrachten und zu bewerten. Dies wird durch eine unterschiedliche Oberflächenstruktur erreicht: Die Stellen, an denen der archäologische Befund sichtbar wird, wirken modelliert, wichtige Baubefunde, auf denen die Rekonstruktion beruht, sind ablesbar. Die Rekonstruktion besteht dagegen aus einer ganz glatten Oberfläche, die sich nicht in Details verliert und somit das höchste Maß an Rekonstruktionswahrscheinlichkeit bietet. Es sollen ausschließlich die Dimensionen der Palastarchitektur vom Betrachter abzulesen sein.
Der methodische Schritt zwischen dem Erkennen und Dokumentieren des Befundes bis zur Rekonstruktion wird erkennbar, eine Diskussion um den Rekonstruktionsvorschlag wird möglich. Das neue Kaiserpfalzmodell ist demnach ein archäologisches Flächenmodell und ein Volumenmodell zugleich. Zudem ist das neue Modell nicht nur in der Lage, den aktuellen Forschungsstand zu zeigen. Dank des speziellen Werkstoffes, der für die Rekonstruktion benutzt wurde, wird es möglich sein, auch neueste Grabungserkenntnisse immer wieder in das Modell einzuarbeiten, um die größtmögliche Aktualität zu erreichen.
Dem speziellen, unempfindlichen Werkstoff, einem Kunststoff aus der Produktfamilie der Epoxydharze, ist es auch zu verdanken, dass das neue Modell vollkommen ohne Glasabdeckung stehen kann. Das Anfassen des Modells durch den Museumsbesucher kann dieses nicht beschädigen. Ein schichtweiser Aufbau aus einem EP-Gelcoat und einem EP-Laminierharz mit Glasfasergewebe gewähren UV-Stabilität und mechanische Widerstandsfähigkeit. Die einzelnen Module sind sehr hochwertig, denn sie sind aus "einem Guss" gefertigt. Es gibt keine Klebestellen und keinen Material-Mix, der dazu neigt auseinander zufallen. Die Grundplatte wird durch eine Aluwabenplatte verstärkt.
Ein weiterer wichtiger Unterschied zum alten Pfalzmodell findet sich auch in der Wiedergabe des Pfalzgeländes. Während das vorherige Modell auf einer völlig geraden Ebene stand, strebte man diesmal eine realistische Darstellung an, deren Beweis man anhand der Ausgrabungen gewinnen konnte. Die Ingelheimer Kaiserpfalz steht nun auf einem Geländerelief.