Forschungsstelle setzt Ausgrabungen an der Rotweinstraße fort
Pressemitteilung vom 11. Mai 2023
Anfang März hat die neue Grabungssaison auf dem frühmittelalterlichen Gräberfeld an der Ingelheimer Rotweinstraße begonnen. Forschungsstellen-Leiter Holger Grewe und sein Grabungsteam hoffen, dort auch in diesem Jahr wieder wichtige Puzzleteile aufzudecken.
Die wissenschaftliche Erforschung des merowingischen Gräberfeldes begann in den 1970er Jahren. Schon damals gab es erste Erkenntnisse zur Datierung und Struktur dieser Fundstelle. Unter vielen Gräbern mit typischen Beigaben wurde auch ein reich ausgestattetes Frauengrab entdeckt, das heute im Landesmuseum in Mainz zu sehen ist. 1990 nahm die Landesarchäologie in Mainz die archäologischen Grabungen wieder auf, erneut kamen zahlreiche Bestattungen zutage.
Vor diesem Hintergrund sowie geplanten Bauvorhaben auf dem Areal wurde 2015 eine neue Forschungskampagne gestartet. Dabei wurde u. a. ein silberner Ring mit einer antik-römischen Gemme gefunden, ein wertvolles Artefakt des 7. Jahrhunderts. Die Untersuchungen wurden mit der Generaldirektion Kulturelles Erbe (GDKE), Landesarchäologie Mainz, koordiniert, die der Forschungsstelle Kaiserpfalz die Grabungsverantwortung übertragen hatte. Bis heute wurden annähernd 300 Grablegen gefunden. Wie viele Menschen auf dem Friedhof in der Zeit zwischen dem 6. und dem frühen 8. Jahrhundert n. Chr. bestattet wurden, lässt sich nicht genau sagen. Klar ist aber: die Nekropole ist eine der größten ihrer Art in Rheinhessen und zählt zu Ingelheims bedeutendsten Bodendenkmälern. Sie liegt größtenteils auf dem Gelände des Unternehmens Boehringer Ingelheim, das die Grabungen der Forschungsstelle unterstützt.
Während der Kampagne 2022 legten die Archäologinnen und Archäologen 28 Bestattungen schrittweise frei. Trotz der meist schon im Mittelalter erfolgten Beraubung der Gräber kamen erneut einige herausragende Beigaben ans Licht, die den Verstorbenen mitgegeben wurden. Darunter waren ein eiserner Schildbuckel und ein Reitersporn, der noch am Fuß des Verstorbenen hing; zwei durchbohrte und zu einem Anhänger umfunktionierte spätrömische Münzen, Gefäße wie die zeittypischen Knickwandtöpfe und Flaschen aus Keramik sowie ein facettierter Glastummler. Bernsteinperlen, Gürtelschließen sowie fein gearbeitete Beschläge mit Flächentauschierungen in Silber und Einlagen mit Almandin zeugen von der hohen Handwerkskunst der frühmittelalterlichen Gesellschaft.
Bronzering mit eingravierten Buchstaben
Kurz vor Weihnachten arbeiteten die Archäolog*innen an Grab 422, angelegt vermutlich in der 2. Hälfte des 7. Jahrhunderts. Das Geschlecht der bestatteten Person ist unsicher, aber ein seltener silberner Ohrring mit eingehängter Silbersphäre könnte auf eine Frau deuten. Doch es ist ein weiteres Objekt aus diesem Grab, das spannende Fragen aufwirft: ein massiver Siegelring aus Bronze, in den die gespiegelten lateinischen Buchstaben QSD eingeschnitten wurden. Die Initialen QSD stehen häufig für den lateinischen Satz „QUIS SICUT DEUS“, was sich mit „Wer ist wie Gott“ übersetzen lässt. Buchstaben, die sich auf das Christentum beziehen, sind in frühmittelalterlichen Zusammenhängen grundsätzlich selten. Eine christliche Interpretation des Akronyms würde zudem ein erweitertes theologisches Verständnis voraussetzen, was ebenfalls ungewöhnlich wäre. Der Ring könnte auch schon in der Spätantike angefertigt und ohne Kenntnis über die Bedeutung der Buchstaben im Mittelalter wiederverwendet worden sein. Als antiker Siegelring wäre er auch ohne christliche Deutung ein Hinweis auf den gesellschaftlichen Einfluss der verstorbenen Person. Allerdings wurden eine eiserne Gürtelschnalle und ein Beschlag aus demselben Grab mit einem Kreuz verziert, sodass ein christlicher Hintergrund denkbar bleibt. In jedem Fall ist der Ring ein herausragender singulärer Fund, für den bislang keine Vergleichsobjekte vorliegen.
Aufwändige Restaurierung von Metallobjekten
Metallfunde wie der Ring und die Eisenobjekte aus Grab 422 gehen nach der Bergung zunächst in die Werkstatt des Restaurators Detlef Bach. Was dort geschieht, grenzt bisweilen an ein Wunder, denn insbesondere Funde aus Eisen sehen anfangs nach kaum mehr als einem rostigen Klumpen aus. Erst die aufwändige Restaurierung bringt Oberflächen mit kunstvollen Verzierungen wieder ans Licht.
Archäologische Bodenfunde aus Metall werden zunächst einer Röntgenuntersuchung mit verschiedenen Belichtungszeiten unterzogen. Viele Objekte können erst dadurch überhaupt identifiziert, bei anderen mögliche Verzierungen erkannt werden. Auch Herstellungstechniken lassen sich beim Durchleuchten nachvollziehen und der Grad der Korrosion einordnen. In einem zweiten Schritt müssen insbesondere Metalle, aber auch andere Materialien wie z. B. Glas, konserviert werden. Andernfalls würden sie einfach weiter korrodieren und bald zerfallen. Korrosionsvorgänge werden durch Salze aus dem Boden (Streusalze, Dünger) und durch Feuchtigkeit und Sauerstoff verstärkt. Daher wird versucht, die Salze durch Lagerung in basischen oder ph-neutralen Lösungen weitgehend aus dem Metall zu entfernen. Wenn die Objekte später gelagert oder ausgestellt werden, muss die Umgebungsluft möglichst konstant unter 25 % relativer Feuchte liegen.
Bis ein Fund seine Geheimnisse preisgeben und in einer Ausstellung gezeigt werden kann, müssen zunächst die über Jahrhunderte gebildeten, oft betonharten Krusten auf den metallischen Oberflächen abgetragen werden. Dabei dürfen die informationstragenden Oberflächen nicht verändert oder gar zerstört werden. Je nach Beschaffenheit werden hierfür verschiedene Methoden angewendet. Bei Kupferlegierungen führen häufig schabende Verfahren mit Skalpellen zum Ziel. Bei Artefakten aus Eisen sind die Krusten aber meist zu dick und zu hart, weshalb hier entweder rotierend schleifende Diamantwerkzeuge oder Partikelstrahlverfahren verwendet werden. Dabei werden unterschiedliche Materialien wie Glasperlen, Korund, Kunststoffgranulate oder Metallpulver unter Druck (0,2 bis 10 Bar) durch spezielle Düsen auf die Oberflächen geblasen.
Im Falle der flächig mit Silber tauschierten Gurtbeschläge waren zwei Besonderheiten zu beachten: Zum einen durfte das Silber durch den Druck beim Strahlen nicht verformt werden, weshalb extrem feiner Korundstaub als Strahlmittel verwendet wurde. Die kleinen Almandin-Einlagen wiederum wären von dem Korund mattiert worden. Sie wurden deshalb ausschließlich mit Glasperlen von den Korrosionsauflagen befreit.