Kaiserpfalz

Zum Begriff Kaiserpfalz

Der Begriff Kaiserpfalz ist in Ingelheim allgegenwärtig. Die Forschungsstelle trägt ihn ebenso im Namen wie das Besucherzentrum und Museum. Auch eine Weinlage schmückt sich damit. Die Ingelheimerinnen und Ingelheimer sprechen ohnehin ganz selbstverständlich und nicht ohne Stolz von ihrer Kaiserpfalz. Dabei ist die Bezeichnung wissenschaftlich betrachtet nicht ganz korrekt.

Der Begriff Pfalz leitet sich vom lateinischen Wort Palatium ab, das wiederum auf den Mons Palatinus zurückgeht, jenen Hügel Roms, auf dem seit Augustus die Kaiser der Antike residierten. Als Ortsangabe taucht Palatium etwa ab der Mitte des 8. Jahrhunderts in Urkunden der fränkischen Könige auf. Die Formel unter einer im Jahr 807 angefertigten Urkunde, in der Kaiser Karl der Große einen Gütertausch zwischen dem Bischof von Würzburg und einem Grafen Audulf bestätigt, lautet: actum Inghilinhaim palatio nostro – „verhandelt in unserer Pfalz Ingelheim“. Karls berühmter Schriftgelehrter Einhard lobte den Kaiser u. a. für seine Bautätigkeiten: Inchoavit et palatia operis egregii, unum haud longe a Mogontiaco civitate, iuxta villam, cui vocabulum est Ingilenheim (…) –„Er begann auch Paläste mit hervorragendem Bauschmuck, einen nicht weit von Mainz, neben einem Königshof, der Ingilenheim heißt (…).“

Gab es ein kaiserliches Bauprogramm?

Die im 20. Jahrhundert aufkommende deutsche Pfalzenforschung fasste unter dem Begriff Pfalz alle Orte, die den mobilen Herrschern im Reisekönigtum als Stützpunkte dienten. Dabei waren bei Weitem nicht alle Pfalzorte so prächtig ausgebaut wie die Pfalz zu Ingelheim – ganz im Gegenteil: die offensichtlich auf Repräsentation zielende Architektur mit Bauelementen wie dem bewusst an antiken Vorbildern orientierten Halbkreisbau mit Säulengang (Portikus) hebt die Ingelheimer Pfalz unter den bekannten Pfalzorten hervor und macht sie zu einem einmaligen bauhistorischen Denkmal.

Doch trotz aller Pracht und der Tatsache, dass Karl der Große am 25. Dezember 800 in Rom vom Papst zum Imperator bzw. zum Kaiser gekrönt wurde – als erster Herrscher seit dem Niedergang des weströmischen Kaiserreiches 476/78 – sprachen er und seine Zeitgenossen mit Sicherheit nicht von einer Kaiserpfalz in Ingelheim. Das Königtum und der damit verbundene Titel REX waren rechtliche Institutionen, die Pfalzorte gleichsam amtlich verbriefter Teil des königlichen Besitzes. Die Bezeichnung Königspfalz ist daher folgerichtig. Demgegenüber war der Kaisertitel, das NOMEN IMPERATORIS, lediglich ein Ehrentitel, wenngleich ein durch die Anbindung an die Herrscher des römischen Weltreiches überaus bedeutungsvoller. Noch nicht abschließend geklärt ist die Frage, ob die Ingelheimer Pfalz Teil eines umfassenden kaiserlichen Bauprogramms gewesen sein könnte. Der enorme finanzielle und logistische Aufwand, die Rezeption antiker Ideen und die Zusammenführung unterschiedlicher Baustile des fränkischen Reiches könnten mit der Vorstellung einer kaiserlichen Herrschaft im Zusammenhang stehen.   

De caesareo Ingelheimensi Palatio

Mit dem Beginn der Neuzeit endete die Tradition, zur Erlangung der Kaiserwürde nach Rom zu ziehen. Karl V. ließ sich 1530 als letzter deutscher König von einem Papst zum Kaiser krönen. Sein Bruder und Nachfolger Ferdinand I. verzichtete darauf, ihm wie auch allen Nachfolgern genügte die Zustimmung der Kurfürsten, um den römischen Kaisertitel zu tragen.

Johann Daniel Schöpflin, Geschichtsprofessor an der Universität zu Straßburg, verfasste 1766 einen Aufsatz über die Ingelheimer Pfalz und gab ihm den Titel de Caesareo Ingelheimensi Palatio – über den kaiserlichen Ingelheimer Palast. Im 19. Jahrhundert verfestigte sich der Begriff. Philipp Alexander Ferdinand Walther, Großherzoglicher Hessischer Hof- und Cabinets-Bibliothekar, beschrieb 1854 Nieder-Ingelheim mit den folgenden Worten: „Karl der Große baute hier ein Palatium. (…) Die Kaiserpfalz wurde während des Kriegs zwischen Diether von Isenburg und Adolf von Nassau von den Mainzern (…) zerstört.“
Auch der Kunsthistoriker Paul Clemen, der 1888 die erste Bodenöffnung im Bereich der Aula regia vornehmen ließ, sprach vom Kaiserpalast. Christian Rauch, dem die ersten systematischen Ausgrabungen in der Ingelheimer Pfalz zu verdanken sind, nannte das Palatium in seinem 1934 erschienenen Buch über die Kunstdenkmäler im Volksstaat Hessen ebenfalls Kaiserpfalz, verwendete aber auch die Begriffe Königspfalz und Basilika. Seine Grabungsergebnisse wurden 1960 unter dem Titel „Die Geschichte der Ingelheimer Königs- und Kaiserpfalz“ als Band 11 der Beiträge zur Ingelheimer Geschichte (BIG) publiziert.

Im wissenschaftlichen Sprachgebrauch hat sich der Begriff Königspfalz inzwischen weitestgehend durchgesetzt. Aber gerade in touristischen Zusammenhängen verwenden manche Pfalzorte noch gelegentlich den Begriff Kaiserpfalz, etwa Aachen oder Frankfurt am Main, wo die spärlichen Überreste im Archäologischen Museum als „Kaiserpfalz Franconofurt“ präsentiert werden. In Ingelheim, so viel steht fest, hat sich der Begriff wohl unauslöschbar in das Gedächtnis der Stadt eingeprägt.  

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