Kaiserpfalz

Die Forschungsgeschichte der Ingelheimer Königspfalz

Die erste Bodenöffnung im Jahr 1888

Der Standort der Ingelheimer Pfalz war im Unterschied zu vielen anderen Pfalzorten aus karolingischer Zeit schon im 19. Jahrhundert bekannt. Der Grundriss der Anlage ist noch heute im Ortsbild ablesbar. Diese Besonderheit führte im Jahr 1888 zur ersten archäologischen Erforschung der Kaiserpfalz Ingelheim. Paul Clemen, ein Kunsthistoriker und Denkmalpfleger, ließ erstmals eine Untersuchung des Bodens in der Aula regia durchführen. Dieses Vorgehen war für die damalige Zeit unkonventionell, brachte jedoch erste Erkenntnisse über architektonische Details des Gebäudes. Die Resultate der Ausgrabung führten Clemen zu der These, dass es sich bei der Königshalle um eine dreiteilige Anlage handelte.

Fünf Kampagnen zwischen 1909 und 1914

Etwa 20 Jahre später wurden unter der Leitung des Kunsthistorikers Christian Rauch erstmals systematische Ausgrabungen auf dem sogenannten „Saalplatz“ (heute: Sebastian-Münster-Straße) durchgeführt. Zahlreiche Baubefunde konnten dabei der Kaiserpfalz zugeordnet werden, darunter einige Apsidenbauten sowie das „Karlsbad“, dessen Funktion als Bassin der Fernwasserleitung  erst durch jüngere Forschungen erkannt wurde. Fünf Grabungskampagnen im Zeitraum von 1909 bis 1914 im Ingelheimer Saalgebiet ermöglichten zum ersten Mal, die Größe und bauliche Gliederung der karolingischen Pfalz nachzuvollziehen.

Text

Erste archäologische Ausgrabungen im Oktober 1909 unter der Leitung von Dr. Christian Rauch

Christian Rauch (re.) und der Architekt Franz Krause im April 1914 am Fundament des Säulenganges

Die Ausgrabungen zwischen 1960 und 1970

Die geplante Renovierung und Erweiterung der Saalkirche führte zu erneuten Grabungen innerhalb des Saalgebietes. Sie fanden zwischen 1960 und 1970 unter der Leitung des Mittelalterarchäologen Walter Sage statt. Ziel der Kampagne war u. a., die Baugeschichte der Saalkirche zu ergründen, bevor diese durch die anstehende Sanierung und den Anbau des Westhauses verändert wurde. Bei diesen Ausgrabungen wurde erstmals die stratigraphische Methode angewendet, sodass Aussagen über eine chronologische Abfolge möglich waren. Auf diese Weise konnten insgesamt vier Bauperioden unterschieden werden. Die Saalkirche datierte Sage in das 10. Jahrhundert, also in ottonische Zeit. Erst später zeigten Holzkohleuntersuchungen aus dem Fundament der Kirche, dass sie erst zwischen 1027 und 1154 errichtet wurde. Außerdem erkannte Sage, dass die Aula Regia und die Saalkirche einschiffige Bauten waren. Auf Grundlage dieser neuen Erkenntnisse legte Konrad Weidemann 1975 einen überarbeiteten Rekonstruktionsversuch der Pfalz vor. 

Erste vollständige Untersuchung der Aula regia in den 1990er Jahren

Nach fast zwanzig Jahren Unterbrechung wurden die Forschungen im „Saalgebiet“ 1993 unter der Leitung von Holger Grewe wieder aufgenommen. Der Fokus dieser bis heute andauernden Kampagne verfolgt im Wesentlichen drei Ziele: die Auswertung und Überprüfung von Altgrabungen; die Durchführung von Grabungen auf bisher nicht erschlossenen Arealen sowie eine bessere Darstellung der Kaiserpfalz als Denkmal. 
Durch den Ankauf des Anwesens in der Karolingerstraße 13 war es erstmals möglich, das Gelände der Aula Regia zu erschließen. Dabei stellte sich heraus, dass das Bodendenkmal von modernen Einflüssen weitestgehend verschont geblieben war. Der bedeutendste Einzelfund dieser Grabung in der Aula Regia ist eine Riemenzunge mit sogenanntem Tassilokelch-Dekor. Dieser Stil ist in der Kunstmode des späten 8. und frühen 9. Jahrhunderts belegt.

In den Jahren 1996 bis 1998 wurde bei Ausgrabungen in der Ottonenstraße der Nachweis für eine vorgelagerte Pfalzsiedlung erbracht. Der dabei entdeckte Solidus, eine Goldmünze Karl des Großen, krönte die Grabungskampagne in der Ottonenstraße. Die bis heute einzigartige Münze ist sicher der berühmteste Einzelfund aus Ingelheim überhaupt. Von 2000 bis 2003 fokussierte sich die Archäologen und Bauforscher auf das sogenannte Heidesheimer Tor, dessen heutiges Erscheinungsbild von einer Wehrmauer geprägt ist, die vermutlich bis in das 12. Jahrhundert zurückreicht.

Erste umfassende Untersuchung der Thronhalle (Aula regia) im Jahr 1995. Bild: Stadt Ingelheim.

Weitere Grabungskampagnen folgten in der Sebastian-Münster-Straße, am Zuckerberg, an der Saalmühle und der St. Remigiuskirche. Dort konnte zwischen 2010 und 2013 ein karolingerzeitlicher Sakralbezirk nachgewiesen werden. Außerdem wurden zahlreiche Gräber aus unterschiedlichen Epochen sowie zuvor unbekanntes Mauerwerk der Vorgängerkirche freigelegt. 

Die Ausgrabungen am merowingischen Gräberfeld

Seit 2015 erforschten die Archäologinnen und Archäologen auch die Vorgeschichte der karolingischen Pfalz: die bis dahin nur wenig bekannte Siedlungstätigkeit der Merowinger wurde durch Funde wie typische Grubenhäuser des 7. Jahrhunderts seitdem an mehreren Stellen im Stadtgebiet untersucht. Auch auf dem ehemaligen Gelände der Gärtnerei Roos in der Flur „Am gebrannten Hof“ konnten zahlreiche solcher Grubenhäuser freigelegt werden. Bei der dortigen Kampagne kamen zwischen 2017 und 2020 aber auch Funde aus einem Gräberfeld der späten Urnenfelderzeit (1200–1000 v. Chr.), Siedlungsgruben aus der Hallstattzeit (800–620 v. Chr.) sowie zahlreiche Funde und Befunde der römischen Kaiserzeit (0–350 n. Chr) zutage, darunter eine Wasserleitung, Bestattungen und ein Heiligtum. 

Am merowingerzeitlichen (500–751 n. Chr.) Reihengräberfeld in der Rotweinstraße wurde 2015 mit einer auf mehrere Jahre angelegten Forschungsgrabung begonnen. Dort konnten bis 2023 annähernd 300 Gräber untersucht und das Wissen über die Besiedlung Ingelheims zwischen der römischen und der karolingischen Zeit deutlich erweitert werden. 

 

Das merowingerzeitliche Reihengräberfeld an der Rotweinstraße zählt zu den größten bekannten Friedhöfen des Frühmittelalters in Rheinland-Pfalz. Bild: Stadt Ingelheim.

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