Kaiserpfalz

Die Geschichte der Kaiserpfalz Ingelheim

Die Bedeutung der mittelalterlichen Kaiserpfalz

Da in der Zeit vom frühen bis zum Beginn des späten Mittelalters (etwa 500–1250 n. Chr.) Herrscher keinen festen Regierungssitz hatten, waren sogenannte Pfalzen (von lat. Palatium = Palast) als repräsentative Herrschaftsorte auf Zeit von großer Bedeutung. Um politische Versammlungen einzuberufen, Untertanen und Grundbesitz zu kontrollieren oder militärische Operationen zu planen und durchzuführen, reisten Kaiser und Könige mit ihrem Gefolge durch das Reich.

Frühmittelalter – die Pfalz der Karolinger (ca. 750–950 n. Chr.)

Um 800 n. Chr. wurde unter Karl dem Großen die repräsentative Anlage errichtet, die heute zu den größten und prächtigsten in ganz Europa zählt. So beschrieb sie auch bereits Einhard, der Biograph Karls des Großen, im 9. Jahrhundert. Die Architektur der Anlage war einzigartig, auch weil sich Karl bei der Planung von römisch-antiken Villen und Palästen inspirieren ließ. Damit wollte er nicht zuletzt an die Tradition großer römischer Herrscher anknüpfen.

Atmosphärische Visualisierung der Thronhalle (Aula regia) der Ingelheimer Pfalz. Rekonstruktion: Archimedix GmbH und Holger Grewe.

Die in karolingischer Zeit errichtete Aula regia (Thronhalle) spiegelt diesen antiken Einfluss auf den Baustil der Pfalz wider. In seinem Bauschmuck und seinem Grundriss eiferte der Ingelheimer Palast römischen Vorbildern nach, etwa der sogenannten Konstantinbasilika, die im 4. Jahrhundert als Audienzhalle der spätrömischen Kaiser in Trier errichtet wurde. Die Reste der Ingelheimer Palastaula wurden 2001 freigelegt und erstmals zugänglich gemacht.

2004 wurden die Fundamente der Dreiapsidenkirche entdeckt. Sie wird anhand von Keramikfunden in das 8. oder 9. Jahrhundert datiert. Ihren Namen verdankt die kleine Kirche den drei halbkreisförmigen Gebäudeabschlüssen, sogenannten Konchen oder Apsiden.

Ebenso aus der Karolingerzeit stammen der Nordflügel und der quer daran anschließende große Saalbau. Mit annähernd 77 Meter Länge war dieser Komplex eines der größten Gebäude in der Pfalzanlage. Ein Brunnen, dessen Entstehungszeit nur schwer einzugrenzen ist, und ein Wasserbecken aus dem späten 8. Jahrhundert belegen die fortschrittliche Infrastruktur der Pfalz. Das gilt insbesondere für die karolingische Fernwasserleitung, die man aufgrund ihrer Bauweise lange Zeit für römisch hielt. Tatsächlich handelt es sich aber um eines der komplexesten Bauwerke der Karolinger. Sie transportierte unterirdisch Frischwasser aus einer Quelle in der Nähe des Nachbarortes Heidesheim über fast sieben Kilometer Entfernung in die Pfalz.

Das markanteste Gebäude in der Kaiserpfalz ist der Halbkreisbau mit dem so genannten Heidesheimer Tor.  Es bildete den nach Osten ausgerichteten, repräsentativen Haupteingang der Pfalz und verlieh ihr das Aussehen einer befestigten Stadt. Der Halbkreisbau besaß einen vorgelagerten Säulengang, ebenso wie der anschließende Nordflügel. Aufgrund ihrer Lage zueinander bildeten sich zwischen den einzelnen Gebäudekomplexen große Innenhöfe. Auch darin ist eine Rückbezug auf die römische Palastarchitektur erkennbar, zumal Halbkreisbauten im Mittelalter größtenteils unbekannt waren.

Rekonstruktion des sogenannten Heidesheimer Tores der Ingelheimer Pfalz. Rekonstruktion: Archimedix GmbH und Holger Grewe.

Hochmittelalter – die Pfalz der Ottonen und Salier (ca. 950–1150 n. Chr.)

Unter den Ottonen im 10. und frühen 11. Jahrhundert erreichte die Kaiserpfalz Ingelheim ihren Höhepunkt als Aufenthalts- und Versammlungsort. Mehrere Reichssynoden wurden hier abgehalten und der Ort etablierte sich als bevorzugte Osterpfalz im Rhein-Main-Gebiet. Dieser Brauch dauerte bis in die salische Zeit an. Von den ottonischen Kaisern hielt sich Otto III. am häufigsten in Ingelheim auf. Da er zum Zeitpunkt seiner Krönung noch unmündig war, übernahmen die Kaiserinnen Theophanu und Adelheid die Regentschaft. Von Ingelheim aus hielten die beiden Frauen engen Kontakt zu Erzbischof Willigis von Mainz. Als Otto alt genug war, wählte er Aachen als bevorzugten Aufenthaltsort.

Unter den Ottonen veränderte die Pfalz ihr Aussehen. Zahlreiche Befunde aus dem 10. Jahrhundert zeugen von Ausbauten und Renovierungen. Unter anderem wurde der aus der Karolingerzeit stammende Trikonchos-Bau noch vor dem Jahr 900 durch einen Apsidensaal ersetzt, der deutlich mehr Platz bot.

Die ältere Forschung datierte die Saalkirche noch in die ottonische Zeit. Holzkohleuntersuchungen aus dem Fundament der Kirche haben jedoch ergeben, dass sie zwischen 1027 und 1154, also zur Zeit der Salier, errichtet worden sein muss. Die Flurbezeichnung „Im Saal“ begegnet Besucherinnen und Besuchern Ingelheims heute überall: Das Stadtviertel, in dem die Ruinen der Kaiserpfalz liegen, wird Saalgebiet genannt. Hier befindet sich auch die Saalkirche, die in ihrem Grundriss den Ursprungsbau widerspiegelt. Auch gibt es den Saalbrunnen und die Straße „Im Saal“. Das Wort geht zurück auf das mittelhochdeutsche Wort „Sal“, was „Haus“ oder „Wohnsitz“ bedeutet. Später bezeichnete es einen Herren- oder Königshof, wenn der König selbst Grundherr war.

 

Spätmittelalter – Die Pfalz der Staufer und Habsburger (ca. 1150–1375 n. Chr.)

Zur Zeit der Staufer hatte die Kaiserpfalz Ingelheim schon lange an politischer und administrativer Bedeutung verloren. Nur viermal ist die Anwesenheit eines Stauferkaisers in der Pfalz nachweisbar. In der „Gesta Friderici Imperii“, entstanden um das Jahr 1160, wird die geplante Wiederherstellung des Ortes dargelegt und geschildert, dass Ingelheim lange Zeit vernachlässigt wurde. Da es sich bei dem Zusammentreffen von Kaiser Friedrich I. Barbarossa und Hildegard von Bingen im Jahr 1163 um einen Mythos handelt, gibt es keinen einzigen sicheren Nachweis für einen Aufenthalt Barbarossas in der Ingelheimer Pfalz. Mehr und mehr beschränkte sich die Bedeutung der einst so wichtigen Anlage auf die Territorialpolitik.

Das Heidesheimer Tor heute: der Wehrgang mit den Zinnen und Schießscharten ist aus staufischer Zeit, als die repräsentative Anlage zu einer Burg ausgebaut wurde. Bild: Stadt Ingelheim, Benjamin May.

Mit dieser Veränderung der Funktion ging ein erneuter Umbau einher, der dieses Mal noch gravierender ausfiel: die Staufer machten aus einer ehemals repräsentativen Palastanlage eine zur territorialen Absicherung genutzte Burg. Dem karolingischen Halbreisbau wurde eine Wehrmauer mit Wassergraben hinzugefügt, das karolingische Heidesheimer Tor zugemauert. Wahrscheinlich entstand um diese Zeit auch der Wehrturm Bolander, der stärkste von insgesamt ursprünglich vier Befestigungstürmen. Er diente der Absicherung der Südwestseite der Pfalz. Die vormals offen gestaltete Palastanlage wurde nach allen Seiten hin mit hohen Mauern abgeschottet und erhielt damit erstmals einen fortifikatorischen Charakter. Nach Süden hin wurde die Grundfläche vergrößert und eine Vorburg errichtet, die ebenfalls von hohen Mauern umgeben war. Die Wehrmauer, die heute den gesamten südlichen Denkmalbereich prägt, stammt in den ältesten Teilen aus der Stauferzeit und ist teilweise bis auf eine Höhe von vier Meter gemeinsam mit dem Bolanderturm erhalten. Das Zuckerbergtor, das einen kleinen Durchlass durch die hoch – und spätmittelalterliche Wehrmauer bildete, ist heute das einzige nachweisbare Tor aus der Stauferzeit.

Erwähnenswert ist zudem die staufische Heizanlage aus dem Zeit um 1200, die komplett rauchfrei funktionierte. Ihre Freilegung erfolgte 1997, nur drei Jahre später konnte sie durch einen Schutzbau konserviert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

1249 nahm Wilhelm von Holland die Pfalz ein. Eine Urkunde von 1298 weist den Aufenthalt des Habsburgers Albrecht I. von Österreich in Ingelheim nach. Mit Karl IV. hielt sich 1354 letztmals ein Herrscher in Ingelheim auf. Grund seines Besuchs war die Gründung eines Augustiner-Chorherrenstifts, das die Pfalzgebäude übernahm. 1375 erfolgte die Verpfändung des gesamten Reichsterritoriums Ingelheim an die Kurpfalz.

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